Freitag, 25. April 2014

Wer teilt, hat mehr - Share Economy im Tourismus (1)

Tauschen und Teilen erlebt auch im Urlaub einen Aufschwung. Der Tourismus kann von dem Bedürfnis nach mehr persönlichem Kontakt profitieren – mithilfe von Apps, Kooperationen und dem Erlebnis der Privatsphäre.

Text: Florian Wörgötter

Copyright: dreamstime.com

Die Menschen teilen nicht erst, seit es Facebook gibt. Doch noch nie waren sie so großzügig wie heute: Sie organisieren Beifahrer (mitfahrgelegenheit.at), besorgen ihre Einkäufe mit dem Leihauto (car sharing.at), mieten Schreibtische in Büros (needspace.com), streamen Musik über Clouds (spotify.com) oder kochen mit Fremden gemeinsame Abendessen (cookening.com). Wer dringend eine Toilette sucht, bekommt sogar Zutritt zu fremden Badezimmern (airpnp.co). Vorausgesetzt, man ist ein registriertes Mitglied auf einer dieser Sharing-Plattformen.

Zugang statt Eigentum
Das Geben ist das neue Nehmen, das Teilen das neue Haben – so sehen das zumindest die Anhänger der Share economy, eines Trends, der auf kollaborativem Konsum basiert und von sozialen Medien und smarten Technologien beflügelt worden ist. Diese Menschen teilen Ressourcen wie Zeit, Raum, Wissen, essen, Können, Geld – und vor allem: Vertrauen. Sie verwenden Waren weiter, anstatt sie wegzuwerfen. Sie nutzen Eigentum gemeinsam anstatt alleine. Sie bezahlen den Nutzen eines Gutes auf Zeit, ohne es zu kaufen. „Nicht mehr der Besitz zählt, sondern der Zugriff darauf“, so beschrieb der Vordenker Jeremy Rifkin den Trend schon im Jahr 2000 in seinem Buch „Access“. Für manche aber ist dieses neue Tauschen und Teilen nichts mehr als ein alter Hut. Was ist nun wirklich neu an der Share economy? „Neu sind das Ausmaß und die Menge des Teilens die digitalen Kommunikationsformen im Internet und die neuen Formen der Gemeinschaft, die daraus entstehen“, erklärt Anja Kirig vom Zukunftsinstitut Deutschland. „Neu ist auch, dass wir unser Konsumdenken verändern, zum Teil aus nachhaltigen Motiven, zum Teil aus finanziellen.“

Weniger ist mehr
„Wer teilt, greift auf eine Menge zu, die er niemals besitzen könnte“, erklärt Dietmar Dahmen. Der Marketingexperte berät seit zwanzig Jahren Unternehmen, wie sie ihr Branding zukunftstauglich machen. Sharing bedeute nicht, weniger zu haben. „Wenn wir ein Auto teilen, haben wir davon nicht die Hälfte, sondern wir haben das ganze Auto, aber eben nur, solange wir es benötigen.“ Entscheidend für den Erfolg des Tauschens im Internet seien drei Dinge: erstens die Kontrolle durch die Nutzer, die ihre Tauscherfahrungen in Schulnoten oder Kommentaren bewerten – mit einem Blick wird ersichtlich, wie zuverlässig ein Teilnehmer ist; zweitens eine Versicherung, die im Schadensfall für die finanzielle Vergütung aufkommt; drittens die digitale Transparenz, genau zu wissen, wo in unmittelbarer Nähe das nächste gesuchte Gut zu finden ist. Laut Dahmen hat die Share economy der Bedürfnispyramide eine neue Spitze aufgesetzt. Ganz oben thronte bislang das Grundbedürfnis der Selbstverwirklichung, das von fehlendem Besitz eingeschränkt wurde. „Share economy verhilft Menschen dazu, sich selbst zu verwirklichen.“ Das solle auch das Ziel des Tourismus sein: dem Gast zu helfen, sich selbst zu verwirklichen.

Live Like A Local
Nüchtern betrachtet, war der Tourismus stets eine Share economy. Gemeinschaftlicher Konsum am Hauptplatz oder im Hotel macht für viele Gäste erst das Reiseerlebnis aus. Auch der Verleih von Ski oder Booten ist nicht neu. Und schon gar nicht, sein Privatzimmer zu vermieten. Vor allem in der Stadt teilen Bewohner Kultur und Infrastruktur mit den Gästen, meint Norbert Kettner, Direktor von WienTourismus. er beobachtet einen wachsenden Einfluss der internetbasierten Share economy zum einen auf die Mobilität, was die steigende Nutzung des Car- und Bikesharings belegt, zum anderen auf die Beherbergung. „Der globale Trend des Wohnens auf Zeit, wie ihn Airbnb und Co anbieten, wird immer stärker. Das Motto lautet: ,Live Like A Local‘ – und zwar in jeder Beziehung.“ Immer mehr Touristen übernachten nicht mehr im Hotel, sondern bei Privaten, die ihre Couch, ein Zimmer, die ganze Wohnung oder ihr Haus im Internet anbieten. Onlineplattformen wie Couchsurfing oder Hospitality Club stellten einst noch den interkulturellen Erfahrungsaustausch in den Vordergrund und untersagten das kommerzielle Vermieten. Airbnb entwickelte daraus 2007 ein Geschäftsmodell und kassiert seitdem Millionen an Provision pro abgeschlossener Buchung. Wimdu und 9flats bieten ein ähnliches Service an. Die Hotellerie hatte schon immer ihre Schwierigkeiten mit dem rechtlichen Graubereich der Privatvermietung. Seit Airbnb ist diese aber zur ernsthaften Konkurrenz geworden. „Der Trend ist interessant, weil Gäste über diese Angebote anreisen, die sonst nicht gekommen wären. Tourismus kann in Gegenden und Stadtteilen stattfinden, wo sonst Gäste nicht hinfinden“, beschreibt Maria Wottawa die Vorteile dieses Trends. Sie leitet den Bereich Themenmanagement/Regionen der Österreichischen Hoteliervereinigung – und betont mit Nachdruck: „Alle Anbieter müssen nach den gleichen Regeln spielen.“ Ins selbe Horn bläst Kettner: „Wir können einen sozialen Trend nicht ignorieren, aber wir können dafür sorgen, dass alles transparent abläuft. Die Spielregeln festzusetzen ist Aufgabe der Politik.“ es fehle an Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Kurz: gleiche Auflagen, gleiche Vorschriften, gleiche Abgaben für alle, die eine ähnliche Leistung anbieten. Dennoch bringe es wenig, über gesellschaftliche Entwicklungen zu jammern, meint Kettner. „Hoteliers müssen sich neuen Trends schneller anpassen und proaktiv mit ihnen umgehen.“

Geteiltes Leid, halbes Leid
Wer als Touristiker von der Share economy und der Onlineprivatvermietung lernen möchte, muss verstehen, was die Menschen dazu bewegt, ein bereits bewohntes Zimmer den Servicestandards eines Hotels vorzuziehen. „Die Gäste suchen Lokalkolorit und den Anschluss zu den einheimischen. Sie wollen maßgeschneiderte Insidertipps und jenseits des Mainstreams reisen“, analysiert Wottawa die Wünsche der Privatmieter. Klassische Beherbergungsbetriebe nehmen sie als unübersichtlich oder unpersönlich war. Vermutlich erhoffen sie sich auch einen günstigeren Preis. „Manche möchten einfach hip und zeitgeistig sein.“ Auch Kirig sieht die Lösung für den Tourismus darin, die Sehnsüchte hinter dem Trend aufzugreifen: den Wunsch nach dem Privaten und Persönlichen, dem Individuellen und dem Authentischen, dem Vertrauen und dem Leben der Menschen vor Ort. „Couchsurfer werfen einen voyeuristischen Blick in eine alternative Lebenswelt, was für sie wohl das Spannendste am Konzept ist“, beschreibt Kirig den Reiz von Airbnb und Co. Hoteliers müssten ihren Gästen über die Atmosphäre das Gefühl geben, dass sie nicht in einer austauschbaren Pension wohnen. Besonders die Mitarbeiter könnten das Gefühl von Heimat auf Zeit vermitteln. Kirig verweist auf ein Konzept der Indigo-Hotels, die in ihren Lobbys interaktive Touchscreens aufstellen. Mitarbeiter empfehlen auf diesen Plattformen ihre Lieblingsplätze in der Region. „Wenn die Menschen gerne an einem Ort wohnen, strahlt das auch auf die Touristen aus“, ist sie überzeugt.

FORTSETZUNG FOLGT

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Wer teilt, hat mehr - Share Economy im Tourismus (2)

Mehr Schärfe im Profil
Wottawa rät Hotelbetreibern, sich klarer zu positionieren. Je pointierter, spezieller und hochwertiger die Leistung, desto weniger Gäste würden sie an das Couchsurfing verlieren. Vor allem dort, wo das Angebot austauschbar ist, droht ihrer Meinung nach die Gefahr, verdrängt zu werden. „Die Hotellerie ist nicht gut beraten, etwas zu kopieren, was sie nicht ist.“ Beherbergungsangebote der Share economy seien eigenständige Produkte, die sich bewusst von dem differenzieren, was im Hotel angeboten wird. „Wer die Couch sucht, möchte kein Fünf-Sterne-Bett.“ Hotels sollten deren Motivation aber durchaus ernst nehmen – was sie auch täten. Daher entstünden mehr kleinteilige, intime und persönliche Angebote.

Authentische Klischees
Eines davon ist das Angebot Chez Cliché, das den Wunsch nach Privatsphäre aufgreift und die Lücke zwischen dem klassischen Hotel und der Appartementvermietung schließen möchte. Jedes der acht Appartements ist nach den Eigenschaften eines anderen fiktiven Charakters designt. Die Wohnung des Kulturjournalisten Beat etwa ist mit Schallplatten tapeziert, inmitten des Retro-Chics liegt ein Gitarrenkoffer, eine Discokugel übernimmt die Beleuchtung. Sein fiktives Profil auf der Webseite verrät neben seinem Werdegang auch, wie dieser Beat ungefähr aussieht, seine Leidenschaften und wo diese in Wien am besten ausgelebt werden können. „Wir treiben den Wunsch nach Authentizität auf die Spitze“, lacht Alexander Sprick, der Geschäftsführer von Chez Cliché. „Wir wollen das Gefühl vermitteln, man kommt nicht als Tourist in eine fremde Stadt, sondern wohnt bei jemandem, den man kennt.“ Besonders wichtig sei es, eine persönliche Beziehung zum Gast herzustellen. Sprick bespricht schon vorab, was die Gäste wünschen, holt sie vom Flughafen ab und verbringt schon mal die Freizeit gemeinsam mit ihnen. „Wir geben den Menschen authentische Tipps jenseits der klassischen Sehenswürdigkeiten und schicken sie in Restaurants, Bars oder Bäckereien, wohin wir auch gerne gehen.“

Kenne deine Mission
„Das wertvollste Gut in der Tourismusindustrie ist nicht das Hotel, sondern der Gast – und in diesen müssen Sie investieren“, rät Dahmen der Branche. „Zimmer und Bett kann man nachbauen, den Kunden nicht.“ Das Ziel sollte sein, dass sich der Gast weniger als Fremder fühlt. Außerdem sei es wichtig, zu wissen: Was ist die Mission meiner Marke? Und wie könne sie dem Gast dabei helfen, sich selbst zu verwirklichen? Was der Gast außerhalb des Hotels dafür benötige, ließe sich auf Basis der Share economy leichter realisieren. Anstatt Leistungen selbst anzubieten,
verbessern Kooperationen das Erlebnis für den Gast. „Der Kerngedanke, Dinge zu verbinden, muss neu interpretiert werden“, sagt Dahmen.

Share and Ride
Auch im Bereich der Mobilität rentiere es sich, mit Partnern aus der Region zusammenzuarbeiten. „Wer einen Mobilitätstrend erkennt, sollte seinem Publikum für die Anreise ´nachhaltige Systemlösungen anbieten“, empfiehlt Wottawa und verweist auf den gemeinsamen Shuttleservice der Hotels in Obertauern. ein Taxiunternehmen der Region holt die Gäste zum Pauschalpreis vom Flughafen ab. Die Buchung
erfolgt per Mausklick, im Idealfall in Zukunft sogar über eine intelligente Smart phone-App. Vor allem in der Mobilität habe die Share economy große Chancen. Wottawa träumt von einem One-Way-Mobility-Ticket, einem einzigen Fahrschein, der Bahn und Flug, Carsharing und Nahverkehr miteinander verschränken könnte. eine App dazu informiert über Abfahrtszeiten und Anschlüsse, die günstigsten Preise und das Wetter. Individuelle Lösungen wie diese würden den Tourismus nachhaltig positiv beeinflussen, meint sie.

What’s App?
Onlineplattformen und Smartphone-Apps bergen vor allem wegen ihrer Möglichkeiten des Referenzierens großes Potenzial, den Tourismus noch mehr zu individualisieren. Während etwa das soziale Netzwerk TravBuddy.com Reisende untereinander vernetzt, ermöglicht es die Smartphone-App UrbanBuddy.com, direkt mit einheimischen in Kontakt zu treten. Das Motto lautet: „Finde das Beste eines Ortes, frage einen Local.“ Spannend würden diese Services werden, wenn sich die Informationen nach den eigenen Interessen richten würden. „Ein einheimischer oder Insider mit einem ähnlichen Profil wie meinem wird mir eher empfehlen können, was ich sehen möchte, als ein unpersönlicher Reiseführer“, sagt Wottawa. In Österreich würden Apps aber bisher eher auf dem klassischen Weg eines Travelguides durch Destinationen führen; personalisierte Apps würden noch fehlen.

Treue durch Transparenz
Hotels müssen sich auch die Frage stellen, wie sie mit den Inhalten umgehen, die ihre Besucher im Internet teilen. Offenbar wollen Menschen ihr Urlaubserlebnis anderen zeigen, meint Wottawa. Diese hohe Bereitschaft zum Sharing solle gefördert werden. Wenn Gäste ihren Aufenthalt im Internet als zufrieden bewerteten, würde sich das auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Tourismusbetriebes niederschlagen, sagt sie. War ein Gast hingegen unzufrieden, beschwert er sich nicht mehr nur an der Rezeption. er erklärt detailreich auf Facebook, was falsch gelaufen sei, oder vergibt eine schlechte Note auf einem der zahlreichen Bewertungsportale. „Wenn ich als Hotelier nicht auf meine Bewertungen im Netz reagiere, leidet meine Präsenz darunter“, sagt Kettner. „entweder beklage ich den Autonomieverlust oder ich profitiere von dem Feedback.“ Wie sich Hotels dem real-digitalen Leben der Menschen am besten anpassen können, beschreibt das Handbuch „Hotel der Zukunft 2014“. Das von der WKO und dem Zukunftsinstitut Österreich herausgegebene Arbeitsbuch ortet im Trend des digitalen Teilens die große Chance, mehr über die Bedürfnisse der Menschen zu erfahren. Wer soziale Medien, Blogs und Chats gezielt adressiert, kann von diesem Wissen profitieren und Kunden binden.

Dieser Artikel ist auch im bulletin, dem Fachmagazin für die touristische Praxis der Österreich Werbung, Ausgabe 04/05 2014, erschienen.

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