Donnerstag, 21. Juni 2007

„Kein Emo, aber doch glücklich!“

„Die ist doch voll Emo!“, pfaucht die pubertierende Tochter auf den Vorschlag zurück, eine Schulkameradin am Wochenende zum Ausflug mitzunehmen. Und dass am Nova Rock-Festival Zelte mit Schildern „Kein Emo, aber doch glücklich!“ verziert waren, macht neugierig und lässt in diversen Info-Quellen nachsehen.
Also: „Emo ist ein Begriff, der ursprünglich für ein Subgenre des Hardcore-Punks verwendet wurde, das sich durch emotionale Musik und selbstreflexive Texte abhob. Im Laufe der Zeit wurde die Bezeichnung zunehmend auch für Musikgruppen verwendet, die dem Hardcore-Punk eher fern stehen, sich allerdings ebenfalls durch sehr persönliche Texte hervorheben, sowie für deren Hörerschaft“, liest man in Wikipedia: „Der Ursprung der Emoszene liegt in der US-Hardcoreszene der 1980er-Jahre. Bereits die Gruppe Hüsker Dü (von 1977 bis 1987) - Ist Ihnen die damals übrigens ebenso entgangen wie mir? - beschäftigte sich mit den Themen Liebe, Beziehungen oder Freundschaft. Obwohl die ersten Lieder von Hüsker Dü dem Hardcore Punk zuzuordnen sind, gab es bereits frühzeitig emotionale Passagen in ihren Liedern. Emo galt in seinen Anfangstagen als Antwort auf zunehmende Härte und Machismo innerhalb der Hardcore-Szene. Emotionen wie Trauer und Verzweiflung wurden offen gezeigt, was bei den meisten Hardcore-Bands der damaligen Zeit als verpönt galt.“
Alles klar?
Der Punk wiederum ist eine Jugendkultur aus den 70er-Jahre, die in New York und London entstand. Charakteristisch für den Punk sind provozierendes Aussehen, eine rebellische Haltung und nonkonformistisches Verhalten. Prägendes Motto für die Punk-Bewegung ende der 1970er Jahre war der Refrain eines Sex Pistols-Stücks: No Future.
Übrigens ist das englische Wort Punk älter als oft angenommen wird. Es taucht bereits bei Shakespeare auf und bezeichnet eine Prostituierte. Aus einer anderen Bedeutung, „faules Holz“, ergeben sich weitere durch Übertragung: Punk bezeichnet allgemein etwas Niedriges, Minderwertiges, also „Unsinn“; auf Personen bezogen „Anfänger“, „unerfahrene Person“; „Strolch“, „Kleinkrimineller“, „Landstreicher“, oder gar „Abschaum“, „Dreck“.
Punks bringen sich vor allem durch Musik zum Ausdruck, ferner durch Kleidung, Frisuren und Grafik (Collagen, Xerographien und Comic-Zeichnungen), betonen das Hässliche und wollen provozieren. Dahinter steckt eine bestimmte Anschauung: eine respektlose, resignierte bis aggressive Haltung gegenüber der Gesellschaft, eine Art rebellischer Nihilismus. Der Punk stellt sich gegen alle Konventionen, gegen die Konsumgesellschaft und gegen das Bürgertum, aber genauso gegen die politische Rechte.
Weil wir schon bei den Szenen sind: Da gibt´s ja auch noch die Gothics, kurz Goths. Axel Schmidt und Klaus Neumann-Braun schreiben in ihrem Buch „Die Welt der Gothics“: Die Bezeichnung Gothic klingt mittelalterlich, dunkel und mystisch, jedoch zugleich - aufgrund des Anglizismus - irgendwie 'modern'. Diese bereits in der Bezeichnung anklingenden Widersprüchlichkeiten sind kennzeichnend: Einerseits hängt sie einer längst vergangenen Zeit romantisierend nach und verleiht dem in ihrem Lebens- und Kleidungsstile deutlich Ausdruck. Andererseits pflegt sie durch ihren Fokus auf Ästhetik und Individualität eine ausgeprägt spätmoderne Existenzform.
In Leipzig hat sich übrigens mit dem Wave-Gotik-Treffens (WGT) die weltweit größte Veranstaltung der internationalen Schwarzen Szene etabliert, das jedes Jahr zu Pfingsten stattfindet. Eines zeichnet die schwarze Szene im Unterschied zu den Skin-Heads aus: sie sind absolut gewaltlos und verhalten sich friedlich. In Leipzig hat es bei den Wave-Gotik-Treffen noch nie Schlägereien oder ähnliches gegeben und manche Taxifahrer wünschen sich das ganze Jahr so gesittete Gäste.
Interessant das Zitat einer Besucherin: Na ja, ich glaube Gothic ist ein Lebensstil – schau dich doch mal um, die meisten Leute hier sind schon etwas älter. Einige sind mit ihren Kindern hier. Das sind die Goths der ersten oder zweiten Generation, die haben die ganze Entstehung der Gothic-Kultur mitgemacht beziehungsweise aufgebaut. Die ganzen Kiddies, die über die gehypte Musik von HIM oder Marilyn Manson dazu gekommen sind, wissen doch gar nicht, um was es geht, die rennen abends in top gestylten Klamotten rum und tagsüber in irgendwelchen Normalo-Marken-Klamotten. Das würde ich dann eher als Jugendszene sehen, aber das sind keine Goths, noch nicht mal Gruftis sondern einfach nur Kiddies.“
Das wiederum führt mich zur erfreulichen Tatsache, dass mit Gruftis nicht mehr die Eltern- bzw. Großelterngeneration gemeint ist:Heute nimmt eine gewisse Jugendszene die Bezeichnung „Grufties“ für sich in Anspruch und bringt sich regelmäßig durch auffällige Friedhofsunternehmungen und Ähnliches ins Gerede. Schlagzeilen wie z.B. „Festnahme, Grufties verwüsteten Leichenhalle“ sind nicht selten. Unter Gruftie versteht man den schwarzgekleideten Jugendlichen mit schwarzgefärbter, meist auffällig gestylter Frisur. Sein ganzes Outfit ist extrem. Das weißgeschminkte Gesicht betont durch schwarzumrandete Augen, soll Totenblässe signalisieren. An den Ohren und am Hals baumeln oft ganze Reihen von Kreuzen, dazwischen vielleicht das Pentagramm ( fünfzackiger Stern, auf der Spitze stehend wird er satanistisch verwendet.) Totenkopf und Spinne. Der Gesichtsausdruck des Grufties ist stumpf, traurig, und seine Haltung kann der eines alten, gebeugten Großvaters immer ähnlicher werden. Befragt man einen Gruftie, warum er sich so gibt, wird man in der Regel Sprachlosigkeit ernten. Der Gruftie spricht nicht viel, seine Ideologie scheint sich mit wenigen Worten beschreiben zu lassen: „Wir tragen schwarz als Zeichen der Trauer über diese Welt“.
Wenn also meine Tochter wieder einmal motzt, werde ich lässig mit dem Gruftiegruß „Stay dark!“ antworten.
Manfred Hluma

PS: Keine Szene, aus der sich nicht etwas herausnehmen und verbreitern ließe: Der düstere Gothic-Stil ist einer der großen Modetrends im kommenden Herbst- und Winter. Das zeichnete sich bereits im Frühjahr bei den Luxusmodenschauen in Paris ab. Viele Stardesigner holten sich ihre Inspirationen aus der Gruft. Nicht nur bei den Billigmodeketten gibt es bald Gruftie-Mode von der Stange, auch der britische Stardesigner John Galliano konzipierte für das Pariser Modehaus Dior „Gothic Chic".
Um sich von der Masse abzuheben, müssen sich die Szenegänger also bald etwas anderes einfallen lassen.

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