Montag, 30. Juli 2007

Hörendes Sehen: Über Gebärdensprache und Dialekte

Unterwegs in Süditalien, eine mehrstündige Zwangsrast an einer Raststation wegen eine Autopanne.
Ein kleiner Fiat parkt sich im Schatten eines Baumes ein. Ein altes Ehepaar entsteigt. Die Frau ist unzufrieden, das Auto soll noch weiter in den Schatten.
Mit fordernden und anweisenden Handbewegungen dirigiert sie den Mann solange, bis das Auto offenbar endlich zu ihrer Zufriedenheit steht.
Aus der Entfernung beobachte ich die Szene und denke mir über die Fuchtelei meinen Teil, bedauere den offensichtlich zurechtgewiesenen Mann.
Als die beiden dann am Nachbartisch Platz nehmen, leiste ich im Stillen Abbitte – das Ehepaar ist gehörlos. In trauter Zweisamkeit nehmen sie begleitet von einem breitem Kanon an Gesten ihr Essen zu sich.
Wie schwer muss es wohl sein, sich nur mit Handzeichen und Mimik verständigen zu können? Wie weit kann man überhaupt Zwischentöne, Gefühle und Nuancen so ausdrücken?
„Mit Gebärdensprachen lassen sich genauso gut abstrakte Dinge oder Ideen und z. B. auch Poesie darstellen wie mit Lautsprachen“, kann man in der einschlägigen Literatur nachlesen.
Der Grundwortschatz einer Sprache erfordert meist die Kenntnis von etwa 2000 Vokabeln.
Im Lexikon zur Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS-Lexikon) - http://db.sign-it.at/ogs.htm - sind derzeit ca. 8000 Gebärden und Gebärdenvarianten aus allen Bundesländern enthalten.
Die Sprachen unterscheiden sich von Land zu Land: Österreichische Gebärdensprache (ÖGS), American Sign Language (ASL), Deutsche Gebärdensprache (DGS) usw...
Jede nationale Gebärdensprache verfügt außerdem über regionale Ausprägungen, es gibt also tatsächlich auch Dialekte.
Die Gebärdensprachen sind übrigens natürlich entstandene Sprachen – und nicht künstliche wie etwa Esperanto - mit einer eigenen Grammatik. Die Texte sind auch keine Wort-für-Wort-Übertragungen aus der akustischen Sprache.
In Österreich leben rund 10.000 Menschen vollkommen gehörlos und an die 15.000 weitere sind so hochgradig schwerhörig oder ertaubt, dass ihnen eine Verständigung allein über das Gehör auch mit Hörhilfe kaum möglich ist.
Die ÖGS ist seit 1998 Gerichtssprache, das heißt, Gehörlose dürfen seit damals in ÖGS bei Gericht aussagen. Seit 2005 wurde sie nach langjährigen Bemühungen der Gehörlosen-Vertreter dann auch in der österreichischen Verfassung ausdrücklich als Sprache anerkannt.
Auch wenn der Kreis der Betroffenen klein erscheint, er wächst ständig. Die Zahl der Menschen mit Hörschäden nimmt in den Industriegesellschaften dramatisch zu. Mehr darüber in Kürze.
Manfred Hluma

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